Demenzzahlen sind in vielen Ländern rückläufig
Am 21. September ist Welt-Alzheimer-Tag. In Österreich leiden derzeit rund 130.000 Menschen an Demenz, 100.000 davon an der Alzheimer Krankheit.
Demenzprävention
„Die Demenzzahlen sind erfreulicherweise in vielen Ländern rückläufig. Diese sind wahrscheinlich auf Verbesserungen im Bildungsbereich, Ernährung, Gesundheitsvorsorge und Lebensstiländerungen zurückzuführen. Auf neun potenziell beinflussbare Demenzrisikofaktoren wurde von der Lancet-Kommission für Demenzprävention, -intervention und -versorgung im Jahr 2017 hingewiesen. Diese sind geringe Bildung, Bluthochdruck, Hörminderung, Rauchen, Fettleibigkeit, Depression, körperliche Inaktivität, Diabetes und geringe soziale Kontakte“, so der Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie, Univ.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Christian Enzinger, MBA.
2020 hat diese Kommission drei weitere Risikofaktoren genannt: Alkoholkonsum, traumatische Hirnverletzung und Luftverschmutzung. Aufgrund von Metaanalysen wurde ein aktualisiertes 12-Risikofaktoren-Lebensverlaufsmodell zur Demenzprävention erarbeitet. Die 12 beeinflussbaren Risikofaktoren sind zusammen für etwa 40% der weltweiten Demenzerkrankungen verantwortlich. Risiken im frühen Lebensalter (<45Jahre), wie z. B. eine geringe Bildung, wirken sich negativ auf die kognitive Reserve aus; Risikofaktoren in der Lebensmitte (45-65 Jahre) und im späteren Lebensalter (> 65 Jahre) reduzieren die kognitive Reserve und beeinflussen die Entwicklungen neuropathologischer Prozesse. „Die Politik sollte den Bildungsweg für alle Kinder öffnen und fördern. Kampagnen zur Minimierung von Kopfverletzungen im Bereich diverser Sportarten zum Beispiel Boxen, Fußball, die Vermeidung beziehungsweise Verringerung des Alkoholkonsums und der Kampf gegen Luftverschmutzung können das Auftreten von Demenz deutlich verringern“, so der Präsident der Österreichischen Alzheimer Gesellschaft, Univ.-Prof. Peter Dal-Bianco.
Kausale Alzheimertherapie mit monoklonalen Antikörpern gegen ß-Amyloid
Entsprechend der Amyloidkaskadenhypothese und ihren Erweiterungen stellt die Ablagerung von Amyloid den ersten Schritt der Pathophysiologie der Alzheimer Erkrankung dar. Über Interaktionen mit der Tau-Proteinopathie und einer Vielzahl von molekularen Downstream-Kaskaden kommt es letztlich zu synaptischer Dysfunktion und Neurodegeneration. Anti-Amyloid und Anti-Tau Therapien stehen daher im Zentrum der klinischen Forschung. Im Juni 2021 wurde in einem beschleunigten Verfahren der monoklonale Antikörper Aducanumab durch die FDA zugelassen. Die Entscheidung erfolgte auf Basis von Daten aus einer 5-armigen Phase Ib Studie und zwei, placebo-kontrollierten Phase III Studien. Beide Phase III Studien wurden nach einer Futility-Analyse (d.h. Zwischenauswertung auf Nichtwirksamkeit) abgebrochen, wobei in einer der beiden Studien in der Hochdosisgruppe eine um 22% verlangsamte Progression gegenüber Placebo bezüglich Hauptendpunkt (Clinical Dementia Rating-Sum of Boxes-Skala), beschrieben wird und auch signifikante positive Effekte auf Kognition und Alltagsfunktion bestanden. Die zweite Studie replizierte diese Ergebnisse nicht. Die Zulassung der FDA erfolgte auf Basis der Reduktion der zerebralen Amyloidablagerungen und es wurde von der amerikanischen Agentur gefordert, eine dritte Studie bis August 2029 durchzuführen.
Seither haben drei weitere monoklonale Antikörper gegen ß-Amyloid eine sogenannte „Breakthrough Therapy Designation“ (BTD) durch die FDA erhalten. Die FDA leitet mit dieser Designierung ein beschleunigtes Review-und Zulassungsverfahren für Substanzen ein, für die vorläufige klinische Evidenz für Wirksamkeit besteht, die über bisherige Therapieeffekte hinausgeht. Eine solche “Designierung” erfolgte für die Wirkstoffe Gantenerumab, für Lecanemab und für Donanemab. Während Donanemab und Lecanemab intravenös verabreicht werden, wird Gantenerumab subkutan gegeben.
„In welchen zeitlichen Rahmen eine solche Zulassung auch immer fallen mag, die neuen monoklonalen Antikörpertherapien gegen die Alzheimerkrankheit werden letztlich den Bedarf für Alzheimer-Spezialist*innen und Equipment sowie deren Einbettung in funktionierende Netzwerke welche den Bogen von der Früherkennung bis zum Therapiemonitoring spannen, erhöhen. Neurolog* innen werden in jeder dieser Phasen eine zentrale Position einnehmen“, so Univ.-Prof. Dr. Reinhold Schmidt von der Univ. Klinik für Neurologie der Medizinischen Universität Graz.
Genetische Faktoren
„Genetische Faktoren sind verantwortlich für ein gehäuftes Auftreten der Alzheimer-Krankheit in Familien. Bei ungefähr 30% aller Alzheimer-Patienten finden sich weitere Betroffene in der engeren Verwandtschaft. Für die häufige Frage nach dem individuellen Risiko bei Angehörigen mit einer Alzheimer Demenz kann folgendes gesagt werden: Menschen, die mit einem Erkrankten erstgradig verwandt sind, Eltern, Geschwister und Kinder, haben im Durchschnitt ein vierfach höheres Erkrankungsrisiko als der Bevölkerungsdurchschnitt. Das entspricht einer Wahrscheinlichkeit von fast 20%, irgendwann im Leben die Krankheit zu bekommen“, so Univ.-Prof. Dr. Elisabeth Stögmann von der Univ. Klinik für Neurologie der Medizinischen Universität Wien. Für Verwandte zweiten Grades (Großeltern, Onkel, Tanten, Neffen, Nichten etc.) ist diese Wahrscheinlichkeit mit 10% doppelt so hoch wie im Bevölkerungsdurchschnitt. Diese Werte beruhen auf einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 72 Jahren für Männer und von 78 Jahren für Frauen.
COVID-19-Pandemie: Auswirkungen auf Menschen mit Demenz
Neben den direkt mit dem Virus assoziierten Risiko hatten und haben auch die durch die Pandemie bedingten Schutzmaßnahmen teils gravierende Auswirkungen auf Menschen mit Demenz und ihre Lebensqualität. Insbesondere Faktoren wie soziale Isolation, verminderte pflegerische Versorgung, Besuchsverbote und das Fehlen von nicht-pharmakologischen Therapieangeboten haben bereits nachweislich demenzassoziierte neuropsychiatrische Symptome wie Depressionen, Angst, Apathie und Dysphorie, damit auch die Betreuerlast verstärkt und zu schnellerer Progression der dementiellen Erkrankung geführt. Menschen mit Demenz werden in Österreich zu ca. 80% zuhause und etwa in 15-20 % in einem Wohnheim oder anderen Einrichtung versorgt.
„Abseits der kognitiven, sozialen und Versorgungsebene scheint SARS-CoV-2 auch zu direkten demenzassoziierten neuropathologischen Veränderungen zu führen. Bereits 2020 wurde publiziert, dass Teile des Virus ins Gehirn übertreten können und dort zu mikrovaskulärer Schädigung und Neuroinflammation führen können“, so Priv.-Doz. Dr.med.univ. Michaela Defrancesco, MMSc, PhD, von der Univ. Klinik für Psychiatrie I der Medizinischen Universität Innsbruck.
Zwischenzeitlich zeigen Studien, dass eine Infektion mit SARS-CoV-2 auch mit einer Zunahme der Amyloidpathologie und mit demenzassoziierten neuronalen Biomarkern wie Neurofilament assoziiert sein kann. Es ist zu erwarten, dass die COVID-19 Pandemie für Menschen mit Demenz und deren Betreuungsumfeld auf kognitiver, sozialer und neuropathologischer Ebene negative Folgen haben wird.
Betreuung / Care-Giver
„Es wurden in den vergangenen Jahren viele Unterstützungsprojekte initiiert und geschaffen. Sie alle zielen darauf ab, die Lebenssituation der Betroffenen und ihrer Betreuungspersonen zu verbessern. Allerdings ist die Brücke zwischen sozialen Angeboten und Patient*innen / Betreuungspersonen recht schmal. Hier bedarf es Informationen, wie diese Angebote auch optimal genützt werden können. Menschen mit Demenz wollen oft möglichst lange zu Hause bleiben. Damit dies gelingt, braucht es ein Netz aus Unterstützungsmöglichkeiten. Vieles ist vorhanden, aber nur relativ wenig bekannt und deshalb zu wenig genutzt. Hier sehen wir eine wichtige Rolle beim Case Manager, der die Betroffenen und ihre Betreupersonen an die Hand nimmt und sie durch den „Dschungel“ an Informationen und Angeboten führt“, so Univ.-Prof. Peter Dal-Bianco.
Das Bundesministerium für Gesundheit, Soziales, Pflege und Konsumentenschutz hat in Kooperation mit der Österreichischen Alzheimer Gesellschaft unter Mitwirkung der Gesundheit Österreich GmbH ein Projekt zur flächendeckenden Qualitätsevaluierung von Diagnose, Therapie und Versorgung der in Österreich lebenden Demenzpatient*innen lanciert. Ziel ist es, dass überall in Österreich gleich gute Qualität in Diagnose, Behandlung und Versorgung von Menschen mit Demenz gewährleistet ist. Das beginnt beim Hausarzt, der oft die erste Ansprechperson ist und entsprechend sensibilisiert sein soll. Einbezogen werden auch Pflegeheime sowie die 24 Stundenbetreuung zu Hause.
„Das Wichtigste für Demenzpatient*innen ist, dass sie optimal betreut werden. Das beginnt bei der Diagnose, geht weiter zur Behandlung und mündet bei der Betreuung. Dabei ist auch eine laufende Evaluierung wichtig. Denn nur wenn wir wissen, wo es hakt und wo Probleme vorhanden sind, können wir optimieren“, so Univ.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Christian Enzinger, MBA abschließend.
Weitere Info: www.alzheimergesellschaft.at